Sven Marquardt – "NYC/22"
Im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie zeigt die
Galerie Deschler eine Ausstellung von analogen Schwarz-Weiß-Fotografien von
Sven Marquardt, die während einer Residenz in New York City 2022 entstanden
sind. Die Portraits, fotografiert auf den Straßen Harlems und Manhattans,
zeigen eine faszinierende Auswahl der Menschen dieser Mega-Metropole, denen
Marquardt bei seinen Streifzügen begegnet ist und die ihm mit seinem speziellen
Blick für sperrige Charaktere und ausdrucksstarke Individuen ins Auge gefallen
sind. Der Dokumentarfilm REBELLION NYC des Produzenten Oliver Würffell, der
während der Residency in New York entstanden ist und parallel zur Ausstellung
im Basement der Galerie gezeigt wird, gewährt einen hervorragenden Einblick in
Marquardts Arbeitsweise und seine Interaktion mit den Menschen, die er
fotografiert.
Bereits in den 1980er Jahren richtete Marquardt seinen Blick
als Fotograf auf die Diversität der damaligen Ost-Berliner Subkultur und ihrer
kreativen Szene, die sich auch dort gegen alle Widerstände Freiräume zu
schaffen vermochte. Als Punker mit Irokesenschnitt fiel er selbst schon durch
sein Äußeres aus dem normalen Rahmen, aber auch seine Fotografien und Sujets
machten ihn der Stasi verdächtig und brachten ihm ein Mitte- und
Alexander-platzverbot ein. Die von Marquardt portraitierten Personen waren stets
sorgfältig ausgewählt: sein Interesse galt von Anfang an den Unangepassten, den
Individualisten, den nicht-Gleichgeschalteten, sei es im Ostberlin der 1980er
oder, nach einer Schaffenspause, während der er als Türsteher des Berghain
Clubs durch sein markantes Aussehen weit über Berlin hinaus als Wahrzeichen der
Stadt bekannt wurde, im wiedervereinten Berlin seit 2000 und seit gut zehn
Jahren auch international.
Seinen unverwechselbar eigenen Stil bringt Marquardt auch zu
den in New York entstandenen Bildern. Schon die erste Betrachtung der Portraits
macht augenscheinlich, dass diese Menschen auch in der Millionenmetropole New
York besonders sind: sie begegnen uns als Helden ihres eigenen Lebens, nicht
Opfer ihrer Umstände, in der Lage, sich auch in widrigen Umständen zu
behaupten. Mit schon fast schroffer, widerspenstiger Selbstbestimmtheit sehen
sie uns direkt in die Augen. Marquardts Fotografien fangen diese Individuen in
ihrer Einzigartigkeit ein und verwandeln sie gleichzeitig zu Ikonen unserer
Zeit, die über das Individuelle hinauswachsen. Mit klaren Konturen und tiefen
Schatten schafft Marquardt stark plastische Effekte. Gleichzeitig bestechen
seine Fotos durch ihre sorgsame Inszenierung: trotz ihrer scheinbaren
Spontanität sind dies keine Schnappschüsse, sondern das Resultat fast schon
malerischer Porträtsitzungen. Sie verdichten die Persönlichkeit des
Abgebildeten zu seiner Essenz, beleuchten aussagekräftige Details und
eliminieren Unwesentliches. Bei aller Theatralik der Körperhaltungen und Posen vermitteln
sie gleichzeitig eine unmittelbare und lebendige Präsenz der Abgebildeten.
Als die pulsierendste und bedeutendste Kunstmetropole der Welt war New York für Sven Marquardt schon vor der Wende ein mythischer Sehnsuchtsort: in REBELLION NYC erinnert er sich, „wir haben immer gesagt, wo wir sind, da ist New York“. Indem er die Figuren in diesen Portraits in seinem charakteristischen Portraitstil nach Berlin holt, schließt Marquardt damit für sich symbolisch einen Kreis, der die beiden Städte in einer tief empfundenen Seelenverwandtschaft verbindet.
Artist talk with photographer Sven Marquardt & film director Oliver Würffell, moderated by Juliet Kothe, at Soho House Berlin
As part of
the European Month of Photography, the Galerie Deschler presents an exhibition
of analog black-and-white portraits by Sven Marquardt, photographed on the
streets of Harlem and Manhattan during a residency in New York City in 2022.
The portraits show a fascinating selection of the people of this
mega-metropolis who caught Marquardt’s eye for contrary characters and
expressive individuals on his walks of the city. The documentary film REBELLION
NYC by producer Oliver Würffell, shot during Marquardt’s residency, will be
shown concurrently to the exhibition in the basement of the gallery. It
provides an excellent insight into Marquardt's approach and his interaction
with the people he photographs.
As early as
the 1980s, Marquardt focused his attention as a photographer on the diversity
of East Berlin’s subculture and creative scene, which was able to create spaces
of free artistic expression there against all odds. Strikingly different
already in his appearance as a punk sporting a Mohawk, he further aroused the
suspicion of the Stasi with the subject-matter of his photographs, and was
consequently banned from entering Alexanderplatz or Berlin's Mitte district.
The people portrayed by Marquardt were always carefully selected: from the
outset, he was interested in those who did not conform, the individualists and
free spirits, be it in East Berlin in the 1980s or, after a creative break
during which he became known as the Berghain Club doorman as a symbol of Berlin
far beyond the city, in reunited Berlin from 2000 and for the last decade also
internationally.
Marquardt
again brings his unmistakable personal style to the pictures created in New
York. Even at first look it obvious that these people are special even in the metropolis
of New York: They face us as heroes of their own lives, not victims of their
circumstances, able to assert themselves even in adverse circumstances, looking
straight at us with an almost gruff, defiant self-determination. Marquardt
manages to capture these individuals in their uniqueness while at the same time
transforming them into icons of our time that transcend the individual. With
clear contours and deep shadows, Marquardt creates strong plastic effects. At
the same time, his images compel us with their careful compositions: despite
their apparent spontaneity, these are not snapshots, but the result of almost
painterly portrait sessions. They condense the personalities of those depicted
to their essence, illuminate meaningful elements and eliminate insignificant
details. Despite the theatricality of postures and poses, they convey an
immediate and living presence.