Malen mit Zahlen

Holger Bär, Malen mit Zahlen


14. Februar – 18. April 2020
Eröffnung: Freitag, den 14. Februar 2020, 19-21 Uhr

Holger Bär arbeitet seit vielen Jahren mit selbst entwickelten, computergesteuerten Malmaschinen, die entsprechend aufbereitete Vorlagen Pixel für Pinselstrich auf die Leinwand übertragen. Dazu benutzt Bär zur Codierung seiner Bilder seit jeher Zahlen als Platzhalter für Farben, die nach bestimmten Algorithmen bildlich verarbeitet werden. Über ein Musikprojekt, bei dem Noten in Farben umgesetzt werden und aus dieser Codierung komplexe abstrakte Bilder entstehen sollten, kam Bär darauf, Bilder direkt auf der Grundlage von Zahlenfolgen zu generieren und von seinen Maschinen malen zu lassen. Die ersten Arbeiten mit diesem Ansatz basierten auf Reihungen von Lottozahlen seit Beginn der Ziehung, wobei alle Zahlen von 1 bis 49 quantisiert und in zehn Farben umgesetzt wurden. Dazu kamen Bilder mit rein konsekutiven Zahlenfolgen (wie die Arbeiten „1-179317“, „179318-340251“ und „340251-503597“) und Abfolgen von Primzahlen („Primzahlen von 1-67536“, „Primzahlen von 100000-182000“) sowie Arbeiten, denen andere Zahlenfolgen zugrunde liegen, wie z.B. „Zahlen aus dem Geschäftsbericht der Dürr AG von 1998 bis 2013“. Auch diese Bilder wurden in zehn Farben umgesetzt, wobei diesmal den Ziffern von 0 bis 9 jeweils eine Farbe zugewiesen wurde. Eine Besonderheit sind die Arbeiten mit dem Titel „Crunched Numbers“: hier wurden Zahlenfolgen durch bestimmte Algorithmen modifiziert, die markante visuelle Verwerfungen in den Bildern bewirken. Auf der Grundlage der „Crunched Numbers“ entstanden durch einen Prozess der Vektorisierung schließlich eine Reihe von abstrakten Zeichnungen.

Im Gegensatz zu Bärs meist gegenständlichen Arbeiten klingt in diesen abstrakten Werken durch die Verwendung des Zufallsprinzips oder unpersönlicher Reihungen als Kompositionsmethode John Cages Versuch der Vermeidung persönlichen Geschmackes an. Doch schon in Bärs gegenständlichen Arbeiten ging es von Anfang an immer mehr um den Prozess der Bildschaffung als um den gegenständlichen Inhalt. Das kam unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass Bär nicht selten mit gefundenem Bildmaterial arbeitete. In diesen nun ganz abstrakten Bildern tritt der gegenständliche Inhalt vollends hinter den generativen und konzeptionellen Prozess zurück. Es ist wie ein Blick unter die Haube, oder wie eine Sicht auf die der grafischen Oberfläche von Programmen zugrunde liegende Maschinensprache. Denn die Bilder folgen trotz ihrem abstrakten Äußeren einem strengen System, sind also in ihrer Gestaltung alles andere als zufällig. Die konsequente und festen Regeln folgende Umsetzung einer grundlegend arbiträr gewählten Zahlenfolge ist in gewisser Hinsicht paradox – nach einer klaren Zuordnungsstruktur wird hier eine beliebige Abfolge in eine andere übersetzt, die demnach je nach Perspektive gleichzeitig willkürlich und nicht willkürlich ist. Visuell sind die Arbeiten teils von einer rein zufälligen Folge von Farbpunkten nicht zu unterscheiden, in anderen Fällen lassen sich visuelle Muster ausmachen, deren Gesetze aber zunächst verborgen bleiben. Damit folgt dieser Ansatz dem Muster einer dekonstruktivistischen Analyse, das bei philosophischen Systemen nicht die interne Logik des Systems selbst in Frage stellt, sondern die grundlegenden (und oftmals unbewussten) Annahmen, auf welche das System in seiner ganzen Komplexität aufgebaut ist, als letztendlich beliebig und unbeweisbar entlarvt.

Gleichzeitig spielt Bär mit den Themen Codierung/Dekodierung und der Präsenz tiefer liegender Strukturen unter scheinbarem Chaos, die an der Oberfläche – und ohne den entsprechenden Schlüssel – nicht erkennbar sind. In unserer zunehmend digital vernetzten Welt, in der auch KI (Künstliche Intelligenz) eine immer größere Rolle spielt, beeinflussen Algorithmen unsere wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entscheidungen in immer ausgeprägterem Maße, wobei ihre Macht dann am größten ist, wenn sie unentdeckt, unter der Oberfläche, unbewusst bleiben, mit anderen Worten: wenn sie uns die Illusion des freien Willens lassen. Durch die gesteuerte Auswahl der Informationen, die uns präsentiert werden, prägen sie entscheidend unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, unser ganzes Weltbild. Damit ist der in Science Fiction vorhergesehene Übergang zur Herrschaft intelligenter Maschinen längst eingeleitet, nicht mit einem großen Knall, einem dramatischen Aufstand der Maschinen, sondern als schleichender, immer größere Lebensbereiche erschließender Prozess. Die Auswirkungen sind aber bereits ganz real und spürbar. Bärs maschinengemalte Bilder tragen dieser neuen Realität Rechnung: hier wird die Funktionsweise der Schaffung von Wirklichkeit als Konstrukt zum Thema gemacht und offengelegt. Gleichzeitig werden wir unserer Abhängigkeit von diesen Prozessen bewusst, denn dies sind Arbeiten, die ohne Maschinen nicht mehr realisierbar wären.

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Holger Bär, Painting With Numbers


14 February – 18 April, 2020
Opening: Friday, 14 February, 7-9 p.m.

Holger Bär has spent many years developing and working with computer-controlled painting machines capable of transposing images, prepared in a certain way, onto canvas, pixel by pixel, brushstroke by brushstroke. For the purposes of encoding his images Bär has always relied on numbers as placeholders for colors, using certain algorithms to visually process them. By way of a music project where scores were to be transposed into colors, thus creating complex abstract images, Bär arrived at the idea of basing a series of abstract paintings on the sequences of numbers and render them through his painting machines. The first works with this approach were based on arrays of lottery numbers, starting from the beginning of the lottery drawings, quantifying all numbers from 1 to 49 and rendering them in ten colors. This was extended with works of purely sequential series of numbers (such as in the works „1-179317“, „179318-340251“ and „340251-503597“) and ranges of prime numbers („Prime Numbers from 1-67536″, “ Prime Numbers from 100000-182000″), as well as works based on other number sequences, such as „Numbers from the Business Report of the Dürr AG from 1998 through 2003.“ In these works, too, Bär used ten colors to render them as paintings, assigning a specific color to each number from 0 to 9. A particular case are the works entitled „Crunched Numbers:“ in these, sequences of numbers are modified through specific algorithms, effecting visual distortions in the paintings. On the basis of the „Crunched Numbers“ Bär finally, through a process of vectorization, arrived at a series of abstract drawings.

Unlike in Bär’s other, usually figurative, paintings, Bär’s use of chance or mathematical sequences as a compositional method evokes John Cage’s attempt of avoiding personal taste. However, even Bär’s figurative paintings have always been as much, or more, about the process of image creation as they have been about the depicted subject matter. This is apparent in the fact that Bär frequently worked with found images. In these now fully abstract images the figurative content disappears entirely, focusing the view on the generative and conceptual process. It provides a view under the hood, as it were, or a glimpse of the machine code underwriting the graphic interface of computer programs. For despite their abstract appearance, these paintings follow a strict system, and their appearance is anything but arbitrary. In following clear rules, the consistent rendering of a fundamentally arbitrarily selected sequence of numbers is to some degree paradoxical – a freely chosen sequence is translated into another according to a precise structure of mapping, making the resulting sequence both arbitrary and not arbitrary, depending on point of view. Visually, some of these works cannot be distinguished from an arbitrary sequence of dots of paint, in other cases visual patterns can be recognized while the underlying laws remain mysterious. This approach can be likened to a deconstructivist analysis that does not question the internal logic of a philosophical system in itself, but lays bare the arbitrary and unprovable nature of the fundamental (and oftentimes subconscious) assumptions of which the whole system, in all its complexity, relies.

At the same time Bär is playing with the themes of coding/decoding and the presence of deep structures and laws beneath seemingly chaotic appearances, structures not recognizable at the surface without the corresponding key. In our increasingly digitally networked world and the growing importance of AI (Artificial Intelligence), algorithms exert an ever more substantial influence on our decisions in the economic, social and political realms. Their power is greatest where they remain undetected beneath the surface, in other works, where they leave us the illusion of free will. In controlling the selection of information presented to us, they significantly shape our perception of reality, indeed our entire world view. In that sense, the transition to a rule by intelligent machines as predicted in science fiction is already under way, though it did not start with a big bang, a dramatic rise of the machines, but as slow, hardly noticeable process, colonizing larger and larger sections of our experience of the world. The ramifications, however, are already quite tangible and real. Bär’s machine-painted images give due consideration to this new reality: they lay bare and give pride of place to the inner workings of the creation of reality as a construct. At the same time they demonstrate our dependence on these processes, for these are works that would not be possible without the aid of machines.

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Artist Talk – Holger Bär und Prof. Dr. Oliver Brock, Fachbereich „Robotics & Biology Labs“ TU

Artist Talk „Malen mit Zahlen“, Holger Bär & Prof.Dr. Oliver Brock from Galerie Deschler on Vimeo.

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